Zeitungsbericht vom 12. Juni 2006 der Zevener Zeitung

2000 Meter tief im freien Fall
Blinde und Sehbehinderte wagen in Seedorf den Sprung aus 3000 Metern Höhe

Seedorf (sd). „Selbst wenn ich für den Sprung über 100 Euro zahlen müsste, ich würde auf jeden Fall wieder springen, wenn ich die Möglichkeit hätte. Am liebsten würde ich sofort wieder einsteigen. Ich kann gar nicht glauben, dass ich schon wieder auf dem Boden bin“, so schilderte Henning aus Arnsberg bei Dortmund seine Eindrücke nach dem ersten Fallschirmabsprung seines Lebens. Anderen Teilnehmern ging es ähnlich. „Mann, das war einfach der Hammer“, lautete der Kommentar von Marco aus Bad Bentheim, der ebenfalls nach den passenden Worten suchte, denn der Sprung aus 3000 Metern Höhe übertraf seine kühnsten Erwartungen.

„Den freien Fall habe ich schon in Vergnügungsparks erlebt, aber das ist natürlich kein Vergleich. Ich bin heute das erste Mal geflogen und ich bin heute das erste Mal mit einem Fallschirm abgesprungen. Klar hatte ich Angst, aber die Leute sind super drauf und haben mir mit ein paar Scherzen sofort die Angst genommen. Im Moment weiß ich noch nicht viel, aber eines weiß ich genau: Ich hätte es immer bereut, wenn ich den Sprung nicht gewagt hätte“, so der Bad Bentheimer, der einer 16-köpfigen Gruppe angehört, für die ein Fallschirmabsprung alles andere als alltäglich ist.

Henning, Marco sowie sechs weitere Deutsche und acht Niederländer zählen zu einer Gruppe von Blinden und Sehbehinderten, die am vergangenen Wochenende in Seedorf den Sprung aus drei Kilometern Metern Höhe wagten. Dass sie in den Genuss eines derartigen Erlebnisses kommen konnten, haben sie den Blindenorganisationen in den Niederlanden und Deutschland zu verdanken.

Nachdem die beiden Verbände im vergangenen Jahr eine gelungene Premiere in Belgien feierten, fand die zweite Veranstaltung „Flying Blind“ am vergangenen Wochenende in Seedorf statt.

Zu den deutschen Teilnehmern zählte auch Claudia aus Mönchengladbach. Sie war bereits am Freitag angereist, denn „Flying Blind“ war weit mehr als nur als eine eintägige Reise mit einem Tandemsprung als Höhepunkt. Während des gesamten Wochenendes waren die Deutschen zu Gast in der Niederländischen Kaserne. Dass von der ersten Sekunde an Urlaubsstimmung herrschte, war natürlich auch dem herrlichen Wetter zu verdanken. Dennoch prickelte die Luft geradezu vor Anspannung, denn nur die wenigsten Teilnehmer konnten die innere Anspannung verbergen und fieberten dem großen Moment regelrecht entgegen.

Claudia, die mächtig Lampenfieber hatte und hin- und hergerissen war, musste eine ganze Weile auf ihren Sprung warten. Ehe Tandemmaster Jean Louis Becker sie in einen passenden Springeranzug gesteckt hatte, mussten sie drei anderen Paaren den Vortritt lassen. Nach zwei Stunden war es endlich soweit. Wenige Minuten vor dem Start erhielt sie die notwendigen Instruktionen von Jean Louis, probte in Null Metern Höhe den Ausstieg aus der Maschine und dann ging es unweigerlich los.

Claudia und Jean Louis, ein weiteres Duo und zwei Kameraleute zwängten sich in die enge Maschine. Wenige Sekunden später nahm das bislang größte Abenteuer seinen Lauf. In weniger als zehn Minuten hatte die Maschine die magische Höhe von 3000 Metern erreicht.

Der Weg zurück war ungleich schneller. Nach nur 30 Sekunden hatten Claudia und Jean Louis die ersten 2000 Meter im freien Fall zurückgelegt. Nachdem sich der Fallschirm geöffnet hatte, vergingen nochmals knapp zwei Minuten, ehe das Duo wieder festen Boden unter den Boden hatte.

Im Gegensatz zu vielen anderen hielt sich die Euphorie bei Claudia in Grenzen. Nach der butterweichen Landung sagte sie: „Das war eine ganz, ganz tolle Erfahrung. Ich bin glücklich, dass ich mitgeflogen bin. Jetzt kann ich auch wirklich mitreden, aber noch einmal würde ich das nicht machen. Am Anfang fühlte ich mich gar nicht wohl.“ Ein dickes Kompliment hatte sie für ihrem Tandemmaster parat. „Bei diesem Sprung habe ich aber eine ganz tolle Erfahrung gemacht. Du fällst und weißt, es kann dir nichts passieren“, so Claudia, auf die weitere Höhepunkte warteten. Zunächst waren alle Teilnehmer zu einer vergleichsweise beschaulichen Runde im Motorsegler eingeladen und abends folgte ein zünftiges Barbecue mit anschließender Party und wer weiß?

Vielleicht wurde Claudia doch vom Springerfieber erfasst. Schließlich befanden sich auch Marco und Henning unter den Partygästen und die sprühten nur so vor guter Laune „Mir fehlen jetzt noch die Worte. Der Schirm geht auf und es macht Wumm und dann schwebst du zum Boden. Das war so was von cool. Das muss man einfach erlebt haben“, so die beiden wie aus einem Munde. Der Arnsberger und der Bad Bentheimer waren sich auch in einem weiteren Punkt einig. „Wenn es eine Wiederholung geben sollte, dann hier in Seedorf, denn die Leute waren einfach klasse.“

Mit freundlicher Genehmigung der Zevener Zeitung (http://www.zevener-zeitung.de).

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